Donnerstag, 16. Juli 2009

Im ICE

Einfach faszinierend, dieses Reisen in Deutschlands Vorzeigezug! Schnell, effizient und zunehmend sogar auch immer pünktlicher! Aber auch überraschend bequem und wenn keine Schafsherde dazwischen kommt, dauert die ganze Fahrt von Mannheim nach Düsseldorf doch glatt weniger als zwei Stunden!

Sich - auch als „Zweitklässler“ - wohlig im Sitz mit der beweglichen Rückenlehne räkeln, etwas lesen, einfach herrlich … Tja, wäre da nicht die Dame links hinter mir, perfekt im Business-Suit und mit wichtiger Brille. Diese - wie sich noch zeigen wird - sehr dynamische Vertreterin ihres Geschlechts hat sich bereits ab Mannheim kurzerhand entschlossen, dem süßen Müßiggang zwischen zwei Terminen zu entsagen und – wichtig, wichtig! – so eben mal ein paar Telefonate zu führen. Business-Telefonate, versteht sich. Durch und durch effizient!

Nett auch, dass sie alle um sich herum Anteil nehmen lässt an den vielen Aspekten ihres ach so stressigen Alltags. So ist schon nach kurzer Zeit unschwer für jedermann herauszuhören, dass sie offensichtlich für ein nicht ganz unbedeutendes Finanzunternehmen arbeitet und gerade plant, einem geschätzten Kunden ein von ihm anscheinend zunächst noch weniger geschätztes Finanzprodukt aufs Auge zu drücken. Zu diesem Zweck erklärt sie offenbar gerade einem ihrer Kollegen, der im übrigen Karl-Heinz heißt, dass sie besagtem Kunden fest zugesagt habe, dass er – am besten heute noch! – eine Präsentation erhielte, die er sich dann „über’s Wochenende“ - wann auch sonst? - mal durchsehen will.

Karl-Heinz wird daher dringendst gebeten, die Präsentation „doch eben mal schnell“ zu aktualisieren und sie dem lieben Kunden per E-Mail zuzusenden. Bei mir macht sich an dieser Stelle schon eine gewisse Erleichterung breit, denn das Ende des effizient und zielführend begonnenen Telefonats scheint doch durchaus in Sicht zu sein. Da plötzlich scheint Frauke (so nenne ich sie inzwischen) aber ganz offensichtlich auf unvorhergesehene Hindernisse zu stoßen! Karl-Heinz hat anscheinend überraschend den einen oder anderen Einwand, jedenfalls will er wohl nicht so recht, wie die liebe Frauke sich das vorstellt. Vielleicht liegt es an der verlangten Aktualisierung oder vielleicht steht er ganz allgemein nicht besonders auf die betreffende Präsentation, ich weiß es nicht.

Frauke sieht sich jedenfalls gezwungen, mindestens drei Mal darauf zu bestehen, dass der Kunde - der Name wird dabei mehrfach deutlich genannt! – auf jeden Fall eine Präsentation brauche. Ich nehme stark an, weil er anderenfalls nicht wüsste, was er am Wochenende sonst so alles treiben soll.

Frauke variiert nun: Sie verspricht, das Ganze nach ihrer Rückkehr - sie fährt nach Köln, erfahre ich an dieser Stelle - noch einmal mit dem Kunden zu diskutieren. Mist, denke ich für mich, bis nach Bonn hätte auch gereicht! Also dann bis Köln! Wo sind die Ohrenstöpsel? Keine da und noch eine Stunde bis Köln! Und Frauke? Die gibt noch mal so richtig Gas, wird jetzt deutlich drängeliger! Ob Karl-Heinz nicht vielleicht doch schon mal die Präsentation… Ich bin für einen Moment ernsthaft versucht, ihr das Handy aus der Hand zu reißen und Karl-Heinz heftigst anzuschnauzen, doch jetzt endlich die verdammte Präsentation – aktualisiert oder nicht – raus zu hauen, damit endlich Ruhe ist!

Jedoch, meine mit zunehmendem Alter leicht verbesserten Manieren machen mich zum hilflosen Gefangenen des Geschehens! Frauke, nicht faul, hat schon wieder eine Variation auf Lager: Sie weicht aus, beginnt jetzt ein nettes Blah-Blah, lautes Gekicher inklusive. Karl-Heinz scheint also doch ein ganz netter Kerl zu sein und ist alles in allem, wenn er sich mal gerade nicht weigert, Wochenendlektüren zu verschicken, ein ansonsten von ihr wohl doch recht geschätzter Kollege. Frauke tändelt gesprächsweise mal so eben zurück zum letzten Meeting und artikuliert - das kann man von Ladies im Suit schließlich auch erwarten - sehr dezidiert ihre Meinung zu Herrn Pfister, der, obwohl zweifellos ein erfahrener Kollege auf dem Gebiet der Informations-Technologie, in seiner neu angetretenen Tätigkeit einfach nicht „up to the task“ ist. Karl-Heinz hat anscheinend auf der anderen Seite aus vollem Herzen zugestimmt, denn man ergeht sich anschließend gemeinsam in der Prüfung geeigneter Alternativen zu Pfister.

Das wäre doch auch was für den Tris gewesen, meint Frauke jetzt. Tris? Wer oder was ist Tris? Ist das etwa ein „Tristan“? Und ist Frauke am Ende vielleicht doch eher die holde Isolde? Ich bleibe nach einiger Überlegung schließlich aber doch bei Frauke! Die stellt jetzt fest, dass ihr Akku – sie meint den vom Handy! – bald streiken würde, was bei mir sofort einen Schub gebremster Euphorie auslöst. Oh, geliebte Grenzen der Technik! Und vor allem du, fast noch mehr geliebte weibliche Nachlässigkeit!

Und in der Tat, ich kann es kaum fassen: Frauke beendet ihr Telefonat! Eine fast unwirkliche Stille macht sich nun breit. Nur langsam kommen die Zuggeräusche wieder durch, verhalten noch, dann aber immer deutlicher. In diesem Moment erreichen wir Köln. Und Frauke steigt wirklich aus! Ich liebe diese Stadt!

Juli 2009 / Klaus Färber
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